Abschiednehmen als Familie: „Momente schaffen, die bleiben“

Wie geht man als junge Familie mit einer alles verändernden Diagnose um? Lisa erzählt, was ihr und den Kindern wirklich geholfen hat – und wie sie neue Stärke in sich entdeckt hat.

Als Lisas Partner auf einem Campingausflug mit seinem kleinen Sohn merkt, dass etwas nicht stimmt, vermutet er einen Schlaganfall. Im Krankenhaus folgt ein MRT, das einen Hirntumor zeigt. Kurze Zeit später bestätigt sich die Diagnose Glioblastom. Als er nur sechs Monate später stirbt, ist er gerade 40 – die gemeinsamen Kinder sind vier und sechs Jahre alt. Hier spricht Lisa darüber, wie sie und ihre Kinder Halt gefunden haben, als alles ins Wanken geriet.

Wie bist du nach der Diagnose deines Mannes mit deiner Angst umgegangen?

Mir hat es sehr geholfen, mich detailliert mit der Erkrankung auseinanderzusetzen: Wo sitzt der Tumor? Wie sieht er aus? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Trotz der düsteren Prognose – die mir absolut bewusst war – habe ich Hoffnung behalten. Hoffnung, dass es vielleicht doch eine Studie gibt, die helfen kann. Hoffnung auf mehr gemeinsame Zeit. Und ich habe mich auf jeden einzelnen Tag konzentriert – auf die kleinen Dinge.

Was habt ihr euren kleinen Kindern erzählt – und was nicht?

Wir haben sie von Anfang an miteinbezogen, aber vorsichtig. Zeit ist für kleine Kinder noch sehr abstrakt. Wir haben ihnen erklärt, dass ihr Papa sehr krank ist und wir alles tun, damit es ihm besser geht – ohne gleich über den möglichen Tod zu sprechen. Ich stand in engem Austausch mit einer Kinderpsychologin, die mir sehr dazu geraten hat, ehrlich zu bleiben und nichts zu verheimlichen. Als es meinem Mann immer schlechter ging und es absehbar war, dass er nicht mehr lange leben wird, habe ich den Kindern das offen gesagt. Das war sehr schwer. 

„Wir haben eine Woche nach der Diagnose geheiratet, das war bereits eine Art Vorbereitung auf einen möglichen Abschied. Aber auch sehr schön!"

Lisas Ehemann verstarb im Februar 2023

Wie ging es den Kindern mit der Situation?

Ich glaube, es hat geholfen, dass ihr Papa fast die gesamte Zeit seiner Erkrankung bei uns zuhause war und teilhaben konnte an unserem Alltag. Allerdings hat gerade unser Sohn, der damals erst vier Jahre alt war, sich oft nicht mehr direkt an seinen Papa gewendet, weil er körperlich so eingeschränkt war, sondern immer direkt mich oder jemand anderen um Hilfe gebeten. Das war für meinen Mann schwer auszuhalten. Und wir hatten während der gesamten Zeit der Erkrankung meines Mannes viel Unterstützung von Freunden und Familie, sodass die Kinder gut eingebettet waren in ein einfühlsames Netzwerk.

Habt ihr euch bewusst auf einen möglichen Abschied vorbereitet?

Wir haben eine Woche nach der Diagnose geheiratet, das war bereits eine Art Vorbereitung auf einen möglichen Abschied. Aber auch sehr schön! Und wir haben ein Familienhörbuch für die Kinder aufgenommen, auf meine Initiative hin. Für meinen Mann war die Auseinandersetzung mit seinem baldigen möglichen Tod sehr schwer und das Familienhörbuch hat ihm viel abverlangt. Er hat es uns zuliebe trotzdem gemacht und dafür bin ich sehr dankbar. Meine Tochter hört es jetzt schon manchmal und auch ich finde es schön, immer mal wieder reinzuhören in seine Erzählungen.

Habt ihr noch weitere Angebote genutzt, die euch geholfen haben? 

Als mein Mann ins Hospiz umzog, dort war er am Ende nur vier Tage, hatten die Kinder bereits Kontakt mit der Leiterin einer Kindertrauerguppe vor Ort, die sie sehr behutsam begleitet hat. Diese Trauergruppe haben die beiden dann noch ein Jahr besucht. Ich fand es schön, immer wieder an diesen Ort zurückzukehren, an dem unser Sohn übrigens auch zwei Stockwerke tiefer geboren wurde. In der Trauergruppe haben die Kinder gemeinsam mit anderen Kindern, die auch ein Elternteil verloren haben, die Urne für ihren Papa bemalt, sich ausgetauscht und viele schöne Dinge unternommen. Aber am wichtigsten war, denke ich, dass sie wussten, dass sie nicht alleine mit ihrer Verlusterfahrung sind. Ich selbst habe eine Weile an einer Online-Trauergruppe für Menschen teilgenommen, die jung ihren Partner oder ihre Partnerin verloren haben. Das war initiiert von der Nicolaidis YoungWings Stiftung, die viele Angebote für junge Trauernde bündelt. Und es gibt in Berlin und auch vielen anderen deutschen Städten den Young Widows Dinner Club, bei dem man sich einmal im Monat mit anderen jung Verwitweten in einem Restaurant trifft und ungezwungen beisammen ist.

„Achtet auf eure Kräfte. Ihr könnt nur für andere da sein, wenn es euch selbst gut geht.“

Wie gehst du heute mit dem Verlust um?

Ich bin unendlich dankbar für die Zeit, die ich mit meinem Mann und den Kindern gemeinsam hatte. Die Zeit ist jetzt vorbei und das ist sehr schmerzhaft. Aber es gibt auch Raum für etwas Neues. Ich habe viel mehr psychische Ressourcen und Kräfte, als ich je gedacht hätte. Ich fühle mich stark und unabhängig. Ich versuche das Leben in vollen Zügen zu genießen, auch weil ich weiß, dass es schnell vorbei sein kann. Ich weiß auch, dass der Tod zum Leben dazu gehört, er macht mir keine Angst. Und ich weiß, dass mein Mann in unseren Kindern und in unseren Erinnerungen weiterlebt. Er ist sehr präsent in unserem Alltag und das ist wie ein kleiner Schatz, den wir immer bei uns haben. 

Was würdest du jemandem sagen wollen, der als Angehörige:r an der Seite eines Gliblastom-Betroffenen steht? 

Achtet auf eure Kräfte. Ihr könnt nur für andere da sein, wenn es euch selbst gut geht. Holt euch Unterstützung, gebt Aufgaben ab, bittet Freund*innen und Familie um Hilfe. Und: Nehmt euch bewusst Zeit miteinander – jenseits von Therapien und Arztterminen. Fragt einander, hört einander zu. Diese Momente bleiben.

Angehörige: Hilfe für die Helfenden

Als Angehörige steht auch ihr mit der Hirntumor-Diagnose von einem Moment zum nächsten einer ganz neuen und vor allem herausfordernden Realität gegenüber. Auf unserer Seite „Tipps für Angehörige von Glioblastom-Patient*innen” findet ihr Tipps, wie ihr zwischen praktischer und emotionaler Unterstützung für eure Liebsten eure eigene Gesundheit und euer Wohlergehen nicht aus den Augen verliert.