Martina Hagspiel

Frontfrau & Herausgeberin Kurvenkratzer GmbH und Vorsitzende Verein InfluCancer

1. Wie entstand die Idee für Kurvenkratzer?
Die Geschichte beginnt, wie wahrscheinlich viele gute Geschichten, mit ungewollter Veränderung. Mein Lebenslauf ist abwechslungsreich und immer sehr stark mit dem Unternehmertum verwoben, zahlreiche Ausbildungen aus den unterschiedlichsten Bereichen flankieren diesen Werdegang. Im Jahr 2010 stellt die Diagnose Brustkrebs mein Leben auf den Kopf. Aus dem Erlebten entsteht erst ein Projekt, dann Verein und dann die Patient*innenorganisation InfluCancer. Bis 2019 war ich im Österreichischen Gewerbeverein für Marketing und Kommunikation verantwortlich, um dann nahtlos die Kurvenkratzer GmbH zu gründen. Ich wollte und will den emotionalen Umgang und die Herangehensweise an das Thema Krebs erklären. Für Patient*innen, ihre Angehörigen und medizinisches Personal. Und genau das machen sowohl Kurvenkratzer als auch InfluCancer heute. Ob durch ein Online Magazin, Podcast, Video, mithilfe der Blogs, Events oder den Social-Media-Kanälen: Wir treten an, um der Sprachlosigkeit, die so oft mit der Diagnose Krebs einhergeht, liebevoll in den Allerwertesten zu treten. Denn wir glauben an die heilsame Kraft der Kommunikation. Gerade dann, wenn’s schwierig wird.

2. Wieso engagieren Sie sich für Krebspatient*innen?
Weil ich es kann. Scherz…oder doch nicht. Bei Kurvenkratzer kommen all jene, die vom Lebensumstand Krebs betroffen sind, zu Wort. Wir sprechen natürlich hauptsächlich mit Patient*innen, ihren Angehörigen und Zugehörigen. Peer to Peer quasi. Schwerwiegendes lässt sich viel besser verarbeiten, wenn man ohne Zurückhaltung darüber reden, und noch besser dem Thema mit Humor begegnen kann. Krebs ist tabu, und das wollen wir ändern. So war es schlichtweg an der Zeit, dass das Thema mutig und mit einer Prise schwarzem Humor bearbeitet wird. Wir konzentrieren uns hier auf die emotionale Herangehensweise und wollen Lebensumstände erklären und enttabuisieren. Das können wir ganz gut, weil wir die Patient*innenrealität kennen und Patient*innensprache sprechen, wir kennen das Leben mit Krebs aus erster Hand. Ein sehr wichtiger Aspekt ist hier das Thema Patient Advocacy, also die professionelle Patient*innenvertretung, das wir vorantreiben wollen. Ziel ist es, dass qualifizierte Patient*innenstimmen besagten Laienstatus verlieren. Ich wünsche mir hier einen Kulturwandel und Paradigmenwechsel, und wenn wir etwas dazu beitragen können, dann tun wir es. Das treibt mich und das lässt mich darauf hoffen, dass viele onkologische Patient*innenstimmen und Patient*innenorganisationen da draußen ähnlich denken und uns in ihre Boote holen, damit wir gemeinsam die Sache voranbringen können.

3. Warum glauben Sie, ist das Engagement gerade für Glioblastom-Patient*innen so wichtig?
Mein Schwiegervater war mit einer Glioblastom Diagnose konfrontiert. Ich weiß um die Machtlosigkeit und fehlende Information. Das Thema ist mit viel Angst verbunden und wir können mit unserer frech fröhlichen Art vielleicht einen neuen Zugang schaffen und zusätzliche Aspekte einbringen. Darüber hinaus wollen wir mit unserer Reichweite unterstützen, damit die konkret aufbereiteten Themen auch auf ihre Dialoggruppe treffen.

4. Welche Bedürfnisse sehen Sie am häufigsten bei Krebspatient*innen?
Mit unseren Inhalten versuchen wir oft die Ärzt*innen – Patient*innen – Kommunikation so gut wie möglich zu unterstützen. Die Verbesserung derselben ist tatsächlich ein wichtiges Thema, denn Krebspatient*innen sollten bestenfalls ihre medizinischen Entscheidungen verstehen und mittragen können. Dafür setzen wir uns ein, genauso wie für die Vertretung der Patient*inneninteressen. Das bedeutet mehr Transparenz und Patientenorientierung sowie eine Sensibilisierung dazu, Aspekte der Lebensqualität in die medizinische Behandlung einzubeziehen.

5. Was hat Ihnen am meisten bei Ihrer Diagnose und dem Umgang damit geholfen?
Mir half schon immer eine gute Portion schwarzer Humor und ein offener Umgang mit der Erkrankung. Außerdem habe ich viel mit Affirmationen gearbeitet, um einen positiven Gedankenzyklus zu schaffen, um so den wiederkehrenden Angstzuständen entgegenzuwirken. Es heißt ja nicht umsonst Mind over Matter. Was auch den Geist beruhigt hat: Gute und valide Informationen. Ich wusste über meine Diagnose und Behandlung ausreichend Bescheid, um mitentscheiden zu können. Das war mir sehr wichtig und gab mir eine Art Kontrolle zurück. Da habe ich meinen Ärzt*innen vielleicht einiges abverlangt, die mit der Zeit zu meinen Vertrauenspersonen und Sparringpartner*innen geworden sind. Auch half es mir ins Hier und Jetzt zu kommen. Wenn man sich sorgt, dann ist man mit seinen Gedanken oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft, ich habe jedoch bemerkt, dass es mir besser geht, wenn ich mich meinen Herausforderungen im Jetzt stelle und den Rest kommen lasse. Sich selbst kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen, war für mich ein effizientes Mittel, um besser durch eine schlechte Zeit zu kommen. Ich habe um Beispiel eine ganze Menge Post-It´s an eine Tür geklebt. Am Ende eines Tages durfte ich eines runterreißen. Es gab die lilafarbenen für die Leukozyten-armen Tage, die orangenen für die Tage mit mehr Energie. Mein Ziel war es, die schwere Zeit in Etappen einzuteilen und durch Erfolgserlebnisse Kraft an den guten Tagen zu tanken. Und zu guter Letzt: Bewegung. Ein Klassiker. Aber die Realisation, dass mein Körper wieder etwas kann, war für mich essentiell, um wieder Sicherheit und Vertrauen ins Leben zu gewinnen.

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